Deine erste Begegnung...
Nach deinem aufwühlenden Zusammenstoß mit der geheimnisvollen Unbekannten vor dem Lada Zenca hast du endlich Gelegenheit, dich der Schenke zu nähern. Du musst Sorayas Kontaktmann finden, damit du ohne weitere Zwischenfälle endlich deinen brennenden Durst stillen kannst – so hoffst du zumindest. Bislang macht Denkara seinem Ruf
als verruchte und nicht gerade ungefährliche Wüstenstadt nämlich alle Ehre.
Aus dem „Schreienden Kamel“ – dem Lada Zenca – schwappt gedämpftes Stimmengewirr auf die Gosse. Die Schenke scheint schon jetzt heillos überfüllt zu sein, obwohl draußen gerade erst die Sonne hinter dem westlichen Rücken des Bergkessels untergegangen ist, an den sich Denkara schmiegt. Du schiebst dich zwischen Soldaten und Gesinde hindurch die zwei Stufen zur Eingangstür des Lada Zenca hinunter.
Als du die Schenke betrittst, schlägt dir ein Wall aus Gerüchen ins Gesicht. Sie wabern an dir empor, hüllen dich ein, kriechen in deine Nase, die sich instinktiv kräuselt, bevor du eine Grimasse ziehst. Du bist offenbar in eine Büchse der Pandora gestolpert, die sämtliche Ausdünste ihrer Gäste in sich konserviert. Es riecht nach altem und neuem Schweiß, Alkohol, süßem und herbem Tabak – und nach verbranntem Essen, das mit einem Übermaß an stechenden Gewürzen versetzt wurde.
Du wirst von einem Mann mit tief hängenden, roten Tränensäcken bei Seite gerempelt und trittst dabei fast auf eine Ratte, die sich an von einem Tisch heruntergefallenen Essensresten labt. Fluchend willst du einen Bogen schlagen, doch es ist vor lauter Menschen kaum Platz, sich zu bewegen. Ziemlich schnell ist dir klar, dass die Soldaten wahrscheinlich nicht der einzige Grund waren, weshalb sich Soraya vor dem Betreten des Lada Zenca gedrückt hat. Du fragst dich, wie sie es sich deine Suche nach ihrem Kontaktmann vorgestellt hat. Das diffuse Licht, das von den an den Wänden angebrachten Öllampen ausgestrahlt wird, ist ein Witz gegen das Abendlicht draußen und reicht kaum aus, jemanden in dem gedrängten Treiben ausfindig zu machen, von dem man nicht einmal weiß, wie genau er aussieht.
Dein Instinkt ist es, die Flucht zu ergreifen, aber dann wird plötzlich für einen Moment der Gang zur Theke vor Kopf frei und du erinnerst dich daran, dass du noch keinen Schlafplatz für die Nacht hast. Ein Zimmer in oder über diesem heruntergekommenen Schuppen würdest du zwar nicht geschenkt haben wollen, aber der Wirt kann dir vielleicht eine (wenn auch – gemessen an seinen eigenen hier präsentierten Standards – vermutlich zweifelhafte) Empfehlung geben, wo du unterkommen kannst.
Also schlängelst du dich nach vorne, vorbei an Soldaten, die sich die Zeit mit Würfelspielen vertreiben und von Zeit zu Zeit aufgebracht aufspringen, vorbei an Weggetretenen, die auf den Bänken vor völlig verschmierten Fenstern zusammengekauert liegen und mit ranzigen Kissen unter den Köpfen im Delirium des Opiums schwelgen – vorbei an trunkenen Raufbolden, die umherpöbelnd jeder Frau ans Mieder grabschen oder auf den Hintern klatschen, die ihnen zu nahekommt.
Endlich hast du es unbeschadet an die Theke geschafft – doch ehe du dich nach Wirt oder Wirtin umsehen kannst, wirst du bereits in Beschlag genommen. „Hee“, eine schwere Hand fällt auf deine Schulter, während sich der Mann neben dir lallend auf seinem Hocker umdreht. „Dich kenn ich nicht! Willkommen, Bruder – oder, Schwester… verzeih mir, ich seh dich nicht so gut bei dem schlechten Licht. – Es ist dunkel hier, findest du auch, oder?“
... mit Phaja.
Du nickst überfordert. Daraufhin richtet er sich auf und brüllt unbestimmt in den Raum hinein: „Afrid, du alter Geizhals!“ Gleich darauf verstummt er wieder, offenbar frustriert darüber, dass ihm niemand Beachtung schenkt – abgesehen von dir. Seine Miene hellt sich auf. „Ich bin Phaja. Entschuldige die Unannehmlichheiten. Ich besorch uns gleich was zu trinken.“ „Hm-mhm“, machst du und stellst dich zögerlich auf den freien Platz neben ihn. Phaja wirkt nicht so, als würde es ihn noch lange auf dem Hocker halten. Seine ausgemergelte Gestalt wankt hin und her und seine Augenringe sind schwarz wie die Nacht – da wird auch kein zusätzliches Licht helfen.
„Du bis nicht von hier, das seh ich doch genau“, fährt er fort und mustert dich mit einem seltsamen Blick, von dem du nicht weißt, ob du ihn freundlich oder verschlagen deuten sollst. „Das stimmt“, erwiderst du, „Ich bin gerade dabei, Denkara kennenzulernen.“ Phaja lacht schallend auf: „Dann hast du dir wahrlich den besten Ort ausgesucht. Der harte Kern der Unter- und Mittelstadt trifft sich hier, ich sag’s dir. Und wenn du einmal im Rachen des Lada Zencas versackst, willst du nicht mehr weg.“
„Davon bin ich weit entfernt“, schnaubst du, doch Phaja schüttelt den Kopf und grinst dir zu. „Nur eine Mohnspitze.“ „Mohn?“ „Erzähl mir nicht, dass du noch nie von Schlafmohn gehört hast!“ „Doch natürlich…“ „Oh, so gut gekleidet und nie vom schwarzen Gold gekostet?!“ Du runzelst die Stirn. Es ist keine sonderliche Herausforderung, besser als Phaja gekleidet zu sein, der Leinen am Leib trägt, welches eben noch an der Bezeichnung „Lumpen“ vorbeischrammt. Das schwarze Gold hat ihn jedenfalls auch nicht reich werden lassen.
„Schade, ich dachte, ich könnte etwas von der Sorte probieren, was man bei dir zulande raucht“, Phaja leckt sich über die Lippen. Es hat etwas verstörend Gieriges an sich. Schnell siehst du weg. „Aber hey, wo wir davon sprechen… bist du auf dem Weg hierher zufällig so einem scheuen Schmächtigen begegnet? Fast so dünn wie ich, ziemlich wortkarg, aber aufdringlich, wenn er etwas will.“ „Ich kann mich nicht erinnern…“, sagst du erst einmal, um einem möglichen Pulverfass auszuweichen.
„Dieser Sohn eines Schakals schuldet mir noch fünf Lirare für das Opium, das ich ihm gegeben hab. Aber feige, wie er ist, hat er sich verpisst. Angeblich, weil er nicht mehr an Pfeife und Krug hängen will. Aber er verarscht mich und will mich einfach um mein Geld bringen.“ Grimmig nuckelt Phaja die letzten Tropfen aus seinem Becher. Eigentlich willst du ihn nicht fragen, aber dann tust du es doch.
„Hast du einen Namen?“ „Raeljo, der alte Knacker.“ Du wirst hellhörig. „Hat’s schon viel zu lange gemacht, für das, was er sich hinter die Binde kippt und in den Kopf hämmert, nur meine Meinung. Der war sogar schon vor mir hier Stammgast und war noch nie länger als ein paar Tage weg, ehe er hier wieder aufgekreuzt ist. Deswegen glaub ich auch nicht dran, dass es das für ihn war –es sei denn, er ist endlich abgenippelt und schmort in der Dschehenna.“ Phaja donnert den Becher auf die Theke. „Wenn er aber wiederkommt und denkt, ich hätte seine Schuld bei mir vergessen, werd ich ihm die Fresse polieren… - Afrid! Neue Runde für uns zwei!!“
... und Afrid.
Ein fettleibiger Mann mit zu enger Schürze um den runden Bauch watschelt hinter der Theke entlang auf euch zu. „Dein Trinkzug gefällt mir heute, Phaja! – Und wen haben wir denn da?“ Er mustert dich mit seinen kleinen, aber aufmerksamen Augen. In seinem schnellen Blick erkennst du sofort eine Verschlagenheit, die dir mulmig zumute werden lässt. „Ein neues Opfer für Phajas Geschwafel, herrlich. - Euch umgibt der Gestank einer langen Reise ohne Bad unter der Wüstensonne.“
Entgeistert über seine Frechheit starrst du ihn an und verkneifst dir die Frage, wie er deinen vermeintlichen Geruch von den anderen unterscheiden will, die die Kneipe durchwabern. Afrid wischt sich die schmierigen Finger an der Schürze ab und hinterlässt dort die Spur eines undefinierbaren Flüssigkeitsgemischs. „Nicht weiter schlimm, sofern Euch unterwegs nicht die Lirare ausgegangen sind.“
Verkniffen schlägst du deinen dünnen Überwurf zur Seite und zeigst ihm den gefüllten Geldbeutel, der an deinem Gürtel hängt: „Zuviel der Sorge. Ein Getränk werde ich mir in Eurem edlen Etablissment wohl leisten können.“ Er lacht schnappartig auf und nickt: „Weder überfallen noch auf den Mund gefallen – solche Reisende sind mir die Liebsten. Wir sind im Geschäft.“ Mit erstaunlicher Flinkheit fischt Afrid Phajas Krug von der Theke und dreht sich mit dem Rücken zu euch, um eure Getränke abzufüllen.
Verstohlen schnüffelst du noch einmal an dir und stellst mit Erleichterung fest, dass du keinen Schweißgeruch wahrnehmen kannst, der von dir ausgeht. Gewiss hast du während deinem Ritt durch die Kahane nicht unnötig Wasser verschwenden wollen, aber bei deiner Ankunft in Denkara hast du wenigstens dafür gesorgt, dass die letzten Tropfen aus deinen Wasserschläuchen auf einem mit Hartseife eingeriebenen Tuch und unter deinen Achseln gelandet sind. - Wahrscheinlich solltest du dir eher Sorgen über das Gebräu machen, das der Wirt des Lada Zencas dir gleich vorsetzen wird – und welchen Preis er dafür verlangt.
Plötzlich tatscht dich jemand von der Seite an. Es ist Phaja. „Das is er, unser bester Drinkmeister… hat noch keinem Hausverbot gegeben. Ein echter Menschenfreund.“
„Mhm“, machst du, wenig überzeugt von Afrids guten Absichten. Just in dem Moment dreht sich der Wirt auch schon wieder zu euch und setzt euch polternd zwei großzügige Becher vor. „Ein Gruß des Hauses“, sagt er und grinst: „Entschuldigt, das ich kurz meine Manieren vergessen habe. Selbstredend sollt Ihr Euch hier wohlfühlen, Neuankömmling. Mit Sicherheit seid Ihr noch dabei, Euch in der Stadt zurechtzufinden.“
„Allerdings“, sagst du und nutzt gleich die Gelegenheit, auf der Suche nach deinem eigentlichen Ziel fortzufahren. „Ich bin auf der Suche nach meinem Stadtführer“, behauptest du. „Ich soll ihn hier treffen, aber mehr weiß ich nicht über ihn.“
„Solange es nicht Walid ist, unser Stadtschreier“, gluckst Afrid. Dann starrt er penetrant auf den Becher vor dir, den du bislang noch nicht angerührt hast, während Phaja neben dir Schluck um Schluck herunterstürzt. Zögerlich hebst du deinen Becher. Afrids Miene erhellt sich, als du ihn an die Lippen setzt. „Ich kann die Augen für Euch offenhalten“, erklärt er mit deinem ersten Schluck. Du musst dich zusammenreißen, ihn nicht gleich wieder heraus zu speien, so abscheulich schmeckt die Plörre, die der Wirt dir da eingegossen hat. Weder Met, noch Bier, noch Wein… es muss etwas anderes sein. Der Alkoholanteil scheint zwar nicht unerheblich zu sein, aber gegen das abgestandene, undefinierbare Aroma vom Rest kommt er nicht an.
„Kann ich Euch noch sonst wie behilflich sein?“, flötet Afrid unverdrossen. „Braucht Ihr ein Bett für die Nacht, einen Stellplatz für Euer Pferd?“ Hastig schüttelst du den Kopf: „Nein… danke. Ich komme bei einem Bekannten unter.“
„So so“, er legt den Kopf schräg. „Also seid Ihr doch nicht zum ersten Mal hier?“ „Denkara ist mir fremd“, erklärst du, bevor du dich herausredest: „… Dem Bekannten bin ich woanders über den Weg gelaufen.“ „Reisen scheint Euer Metier zu sein“, schließt der Wirt aus deiner Notlüge. „Da habt Ihr doch sicherlich die ein oder andere spannende Geschichte über die Wüste mitgebracht, die Ihr gerade durchquert habt.“ „Ähm,… sicher.“ „Wundervoll!“, er stützt sich mit beiden Ellenbogen auf die versiffte Theke. „Ich bin ganz scharf darauf, sie zu hören.“
Du fragst dich, was Afrid an dir findet. Schließlich gibt es hier genug andere seiner Kunden, die bedient werden wollen. Doch das Herumgegröle und Zetern nach neuen Getränken scheint ihn für den Augenblick nicht im Geringsten zu kümmern.
„Vielleicht können wir das auf später verschieben…?“ Du weißt nicht genau, was diesem ungepflegten, untersetzten Mann mit fettigen, dunklen Haaren die Autorität verleiht, um einschüchternd und einnehmend zugleich zu sein.
„Ganz, wie Ihr wollt. Dass Ihr mir nur nicht die Zeche prellt.“
Er droht dir – scheinbar schelmisch – mit dem Zeigefinger.
Aha. – Nun kannst du dir immerhin erklären, woher sein fürsorgliches Gebaren rührt. „Denn, so wie ich das sehe…“, Afrid wirft einen Blick zu deiner Seite, „hat sich dein feiner Kumpane Phaja aus dem Staub gemacht. Das bedeutet dann wohl, dass ich seine Tagesrechnung auf dich schreiben muss.“
„Wie bitte?“, entfährt es dir. „Ja, nu“, gibt er sich bedauerlich. „Ihr seid doch gut betucht, wie ich gesehen habe. Und ich bin nur der arme Wirt dieser kleinen Taverne, der irgendwie über die Runden kommen will. Da werdet Ihr gewiss ein Mal großzügig sein können.“
„Pff“, machst du verächtlich und suchst weiterhin vergeblich nach einem Anzeichen in seiner Miene, dass er mit dir scherzt. „Ich fass es nicht. Ihr seid unverschämt.“ Blitzschnell kritzelt er mit Kreide etwas auf eine kleine Schiefertafel, die er offenbar hinter der Theke versteckt und schiebt sie zu dir herüber. „Nicht doch“, sagt er, während deine Augen beim Anblick des Preises nun förmlich aus den Höhlen hervorspringen. „Ich bleibe nur nicht gerne auf meinen Kosten sitzen.“
„Euren Kosten?! Gerade sagtet Ihr noch, dieser Most sei ein Gruß des Hauses und nun berechnet Ihr in mir inklusive einer Bechergebühr?“ Unverfroren wackelt Afrid mit dem Kopf, wobei Schweißtropfen von seiner ölenden Stirn perlen und auf die Theke tropfen: „Es geht gerne mal etwas zu Bruch.“
Du donnerst ihm ein paar Lirare auf den Tisch – zu viel, jedenfalls für diese ausgeklügelte Gastfreundschaft für die Dauer eines halben Getränks. „Hier habt Ihr meinen Anteil. Um die Zeche von Phaja könnt Ihr Euch selbst kümmern“, zischst du, nun wirklich aufgebracht. „Ich bin nicht Euer Geldeintreiber.“
Afrids Miene blüht in Zufriedenheit und Selbstgefälligkeit auf, während er das Geld umgehend in seiner Schürze verschwinden lässt und zu summen beginnt: „Das nicht. Aber Ihr seid mein Goldesel – Ich erzähl Euch noch einen Witz, der ist sogar wirklich kostenlos: Treffen sich ein schreiendes Kamel – und ein Goldesel. Sagt der Esel: Ich bin weit gereist, um dir meine Gaben zu bringen…“ „Spart Euch das“, unterbrichst du ihn knurrend und wendest dich von ihm ab.
„Eure Wüstengeschichten wollte ich übrigens gar nicht hören“, ruft er dir nach. „Denn wisst Ihr was? – Die mit den guten Enden sind unwahr. Das wissen alle Denkarer. Aber die Reisenden spinnen sich ihre schönen Märchen, um ihre Angst zu betrügen, die sie jedes Mal überkommt, wenn sie erneut in die Kahane aufbrechen.“
Innerlich vor Wut kochend wendest du dich ab und willst aus dem Lada Zenca stapfen, mit dem Schwur, es nie wieder zu betreten, als du dich deiner Lebensversicherung erinnerst, die du abgeschlossen hast. - Du hast noch den Auftrag, hier eine Person zu treffen, mit der wiederum Soraya sprechen will.
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Gerade schiebst du dich durch einen Menschenpulk, um dich im Schankraum wenigstens so weit wie möglich von der Theke und Afrid zu entfernen, als du versehentlich jemanden anrempelst, der genau auf die Beschreibung passt, die Soraya dir gegeben hat: Du hast ihn übersehen. Und du würdest weitergehen, wenn du nicht wüsstest, dass du nach jemandem suchst, der sich auffällig unauffällig kleidet und verhält...