Deine erste Begegnung...
Nach Deiner anstrengenden Reise durch die Kahane erreichst Du in der Dämmerung endlich die Tore der florierenden Wüstenstadt Denkara. Dein Wasservorrat ist zur Neige gegangen, deine Kehle ist ausgedörrt, dein Pferd schleppt sich nur noch träge voran – aber Du siehst das Glitzern der Oase am Fuße des Bergkessels, an den sich Denkara schmiegt.
Nachdem die Stadtwache Dich kontrolliert hat, entlässt sie Dich in das bunte Treiben der Handelsmetropole, die wieder zum Leben erwacht, nachdem die glühende Mittagshitze zusammen mit der versinkenden Sonne hinter den westlichen Bergkämmen schwindet.
Um dein Pferd am Wasser der Oase zu tränken, musst Du eine schmerzhafte Summe zahlen, die Denkaras Padischah Nerán alsali Arkon II. als Steuer erhebt. Da dein Geldbeutel nun um einiges leichter ist, beschließt Du, nach einem preiswerteren Angebot zu suchen, um deinen eigenen Durst zu stillen. Zum Glück hast Du es nicht weit: Die Unter- und Mittelstadt nahe der Oase gehört dem Gesindel, während die weiter oben thronenden Viertel gut betuchte Mitglieder der Kaufmannsgilde und die Sheiks beherbergen.
Die eng verwinkelten Gassen zwischen den Lehmbauten der Unterstadt haben ihren Charme, wenngleich Du Dir nicht sicher bist, ob Du ihm trauen solltest. Deine Begegnung mit dem ansässigen Langfinger draußen in der Wüste hat Dich gelehrt, dass Du hier jederzeit auf dein Hab und Gut Acht geben solltest.
Im Vorbeigehen bemerkst Du an einer Straßenecke schließlich eine Schenke – oder vielmehr Spelunke – die den Eindruck erweckt, als könnte sie deinen Preisvorstellungen für ein kühles Getränk und eine magenfüllende Mahlzeit gerecht werden. Vor den geöffneten Türen des „Lada Zencas“ – „Schreienden Kamels“ – tummeln sich schon Menschen mit ihren Krügen in der Hand, allem Anschein nach einfache Leute, Fußsoldaten… und solche, die so aussehen, als würden sie diesen Ort allenfalls verlassen, um sich zu entleeren.
Trotzdem beschließt du, dir einen näheren Eindruck von der Schenke zu machen und willst dein Pferd hinter der Ecke der Schenke anbinden. Als Du um die Ecke läufst, rempelt jemand in Dich hinein, sodass Dein Pferd widerstrebend den Kopf in die Höhe reißt und wiehert. „He…!“, sagst Du und willst gerade weiterreden, als dir angesichts deiner Gegenüber die Worte im Hals stecken bleiben. Die Frau, die in dich hineingelaufen ist, ist schlank und recht groß und hat das Gesicht bis auf die Augenpartie hinter einem schwarzen Tuch verborgen. Dennoch ist ihre Schönheit unverkennbar. Ihre smaragdgrünen Augen funkeln dich an und scheinen dir direkt in die Seele zu fahren, während ein leichter Windzug, der durch die Gasse fährt, mit den langen, schwarzen Haaren spielt, die unter ihrer Kapuze hervorlugen.
Erstellt mit Midjourney.
... mit Soraya.
„Hat es Dir die Sprache verschlagen? – Lass mich vorbei“, blafft Dich die Frau in diesem Augenblick an und will dich zur Seite drängen. „Irgendwoher kenne ich Dich“, bricht es aus Dir hervor, ohne dass Du genau weißt, weshalb du das sagst. „Ach ja?“ Plötzlich ist die Frau wieder ganz nah bei dir und schubst dich unvermittelt an die rückwärtige Wand der Schenke. „Dann rate ich Dir, mich schnell wieder zu vergessen. Sonst kennst Du mich nur noch aus deinen Alpträumen.“
Das einfache Leinengewand, das sie übergeworfen hat, ist an ihrem Unterarm hinaufgerutscht, den sie gegen dein Schlüsselbein drückt. Es enthüllt einen Dolch, dessen geschwungene Klinge unmissverständlich auf deinen Hals deutet. „Ich will keinen Ärger“, beschwichtigst du sie eingeschüchtert.
Du siehst, wie ihr Blick hastig um die Straßenecke schweift. „Gut“, sagt sie dann, „Ich nämlich auch nicht. – Deshalb wirst Du etwas für mich tun.“ Verwirrt siehst Du sie an. „Ich bin im Lada Zenca mit jemandem verabredet. Du kannst für mich herausfinden, ob er schon da ist.“
Du runzelst die Stirn: „Verzeih‘, aber warum tust Du das nicht direkt selbst?“ Sofort tanzt der Dolch vor deinem Kehlkopf umher: „Ich verschone dich nicht, damit Du mir mehr Fragen stellst“, grollt sie. Du blinzelst nervös, doch bleibst standhaft: „Wenn Du mit dem Angriff eines unschuldigen Reisenden keine Aufmerksamkeit auf dich ziehen willst, bist du mir aber ein paar Antworten schuldig, fürchte ich.“ Dein Mut zahlt sich aus: Entnervt lässt sie von dir ab. „Also gut, Schlauberger. Da vorne streunen gerade ein paar Anjeldas des Palastes herum – ich will mich nicht unnötig mit diesen Soldaten herumschlagen, falls mein Kontakt bisher ohnehin nicht eingetroffen sein sollte.“
„Ich verstehe“, entgegnest Du vorsichtig. „… Kennen die Dich möglicherweise besser als ich?“ Sie zuckt nur mit den Schultern. Da schießt dir ein Gedanke durch den Kopf – deines Wissens nach gibt es für ihre wortlose Zustimmung nur eine Erklärung. „Du bist eine Frau des Padischahs!“, platzt es aus dir heraus. „Pst!“, zischt sie und reißt dir die Zügel deines Pferdes aus der Hand. „Bist Du wahnsinnig geworden?!“
„Willst du fliehen?“, fährst Du gedämpft fort. „Ich meine, nach allem, was ich bisher über den Padischah gehört habe,…“ „Ich bin keine seiner Huren“, unterbricht sie dich schroff. „Und Du hältst besser den Mund, wenn ich ihn dir nicht aus dem Gesicht rausschneiden soll. Wenn Du meine Aufgabe nicht erledigen willst, suche ich mir jemand anderen.“
„Schon gut!“ Offenbar kannst Du es nicht mehr unterdrücken, dass sich deine innerliche Panik auch in Deinem Gesicht widerspiegelt. „Schrei jetzt bloß nicht“, warnt sie Dich. „Ich mach’s“, sagst Du. Sie schüttelt den Kopf und murmelt halblaut: „Mir ist schleierhaft, wie jemand klug sein kann und trotzdem nach Denkara geht…“
„Ich könnte Dich mitnehmen!“, rutscht es dir heraus, obwohl Du es gleich danach bereust. Die Frau hat etwas Gefährliches an sich – sicherlich nichts, dass darauf hindeutet, dass sie Hilfe bräuchte. Und gleichzeitig fasziniert sie Dich so sehr, dass Du dir jetzt schon sicher bist, eure Begegnung nie zu vergessen. Ihre Ausstrahlung verleitet dich dazu, einfach weiterzureden, obwohl du dabei unter dem durchdringenden Blick ihrer schmäler werdenden Augen immer kleinlauter wirst: „Ich meine, wenn du Hilfe brauchst, aus der Stadt zu fliehen, könnten wir Dich auch als Reisende tarnen und…“
„Ich kann hier nicht weg.“
Ihre Antwort fällt weniger zornig aus als erwartet – im Gegenteil, sie klingt beinahe wehmütig. „Noch nicht, jedenfalls. Ich sollte zwar nicht hier sein, aber ich habe noch einen Auftrag zu erfüllen, ob es mir gefällt oder nicht.“ Sie räuspert sich, wie in einem Versuch, ihre kurz aufkeimenden Emotionen wieder aufzufangen. – Es gelingt ihr. Die Schulter straffend fährt sie fort: „Du meinst es wahrscheinlich gut, Reisender, und das rechne ich dir hoch an. Hilfsbereitschaft ist hier in der Stadt rar gesät. An einem anderen Tag hätte ich mich womöglich sogar hinreißen lassen, dein Angebot anzunehmen. Denn mein Leben ist gerade wirklich die Hölle. Aber ich habe es einem größeren Ziel untergeordnet und kann jetzt nicht aufgeben. – Also, wenn du mir wirklich helfen willst, ist es damit getan, dass Du für mich einen Blick ins Lada Zenca wirfst.“
Sie gibt Dir die Zügel deines Pferdes zurück: „Wie gerne würde ich wieder den Wüstenwind unter freiem Himmel in meinem Gesicht spüren“, sagt sie dabei. Ihre Gedanken scheinen wieder abzudriften. „Das vermisse ich wirklich sehr. Aber selbst den Weg aus dem Palast in die Stadt muss ich mir erschleichen.“
Obwohl Du mit deiner Vermutung also doch richtig gelegen hast, will sich kein Gefühl der Genugtuung bei dir einstellen. Als Du die Zügel deines Pferdes entgegen nimmst, entdeckst du mehrere blaue und dunkelviolette Flecken an dem Handgelenk der Frau.
„Welches Ziel könnte es wert sein, dass mit sich machen zu lassen?“, wisperst Du fassungslos. Rasch zupft sie ihr Gewand wieder zurecht. „Die Rettung und der Schutz meiner Familie“, erwidert sie nüchtern. Deine Augen werden groß. „Wissen sie davon?!“, fragst du dann. „Ich meine, wessen Vater, wessen Mutter, wessen Bruder könnte so etwas für sein Kind oder seine Schwester wollen?“ „Sie wissen es. Aber es war meine Entscheidung, sie zwingen mich zu nichts“, ihre Stimme wird hart. „Wage es nicht, meine Entscheidung infrage zu stellen. Das steht dir nicht zu.“
Du nickst unentschlossen – perplex. „Also“, sagt sie. „Wirst Du jetzt tun, worum ich dich gebeten habe? Dann warte ich solange draußen auf dich und gebe auf dein Pferd Acht.“ „In Ordnung.“
„Es wird etwas knifflig, weil ich dir nicht genau sagen kann, wie derjenige aussieht, nachdem du suchen sollst – er hat die Eigenart, sich immer anders zu kleiden und zu geben. Ein Meister der Scharade und Verkleidung, möchte ich sagen. Vielleicht wirst du ihn am besten an seiner Unauffälligkeit erkennen – er ist so unauffällig, dass es auffällig wird, wenn man gezielt nach ihm Ausschau hält.“ „Ich gebe mein Bestes“, versprichst Du – mit dem Gefühl in etwas hineingestolpert zu sein, von dem Du nicht genau weißt, ob Du wirklich Teil davon sein willst oder es dich nur in Gefahr bringt.
„Sprich ihn mit dem Namen Messin an und sieh, wie er darauf reagiert. Wenn er dich nach der Samtkatze fragt, hast du den Richtigen. Dann kannst Du ihm sagen, dass sein Kontakt draußen auf ihn wartet, weil ihr zu viele Anjeldas umherschwirren.“
Sie zögert kurz, dann fügt sie noch hinzu:
„Sag ihm, dass es Soraya ist, die mit ihm sprechen muss.“